Kooperation mit roten Linien – die Grundregeln

Immer wieder höre ich den vorwurfsvollen Einwand: Wir müssen aber mit Russland, wahlweise Türkei, wahlweise Saudi-Arabien (und und und) kooperieren. Dazu sage ich: Keiner fordert, dass wir es nicht tun sollen. Die Frage ist, unter welchen Vorbedingungen.

Keine Werte ohne Kooperation, aber auch keine Kooperation ohne Werte

Ja, auch eine wertegeleitete Außenpolitik ist keine Außenpolitik im Vakuum. Wir leben in einer globalen Welt voller gegenseitiger Abhängigkeiten. Und auch Kooperationsbereitschaft selbst ist ein Wert an sich. Entsprechend dieser Tatsachen sind Länder, die nicht unsere Werte teilen, unsere gelegentlichen oder gar dauerhaften Partner.

Aber wir dürfen nicht ohne Kompass durch die Weltgeschichte irren. Wie bringen wir beides, die Notwendigkeit der Kooperation und die Werteorientierung, zusammen? Die Lösung besteht darin, dass wir Kooperationsbereitschaft mit roten Linien kommunizieren und praktizieren. Dadurch sind eigene Prinzipien bewahrt, und Erwartungen an andere klargestellt.

Die Kompass-Kooperation-Schere…

Wo ziehen wir diese roten Linien? Da, wo unsere Kompass-Kooperation-Schere am weitesten auseinanderklafft, also da, wo Interessen oder Werte, die unser Verhalten leiten, etwas anderes zeigen als das Gebot oder die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Mindestens vier Konstellationen sind vorstellbar:

  1. Eine Zusammenarbeit kann unseren Interessen dienen, aber unsere Werte gefährden;
  2. Die Zusammenarbeit kann unsere kurzfristigen Interessen bedienen, aber langfristige Interessen gefährden;
  3. Die Zusammenarbeit kann unsere Interessen in einem isolierten Bereich fördern, aber unsere Werte oder Interessen durch Zugeständnisse oder Erwartungen von Zugeständnissen in anderen Bereichen der internationalen Zusammenarbeit untergraben;
  4. Die Zusammenarbeit kann unseren Interessen dienen, aber die Interessen unserer solidarischen Partner*innen gefährden.

Dies schließt natürlich nicht aus, dass wir zusammenarbeiten, aber alles hat seine Grenzen. Daher muss gelten:

Das Prinzip „Kooperationsoffen mit roten Linien“

Der Ausgangspunkt ist für uns folgender: Wir bleiben grundsätzlich immer offen für Zusammenarbeit. Denn Zusammenarbeit ist ein wichtiges Gebot in einer globalisierten Welt. Doch wir erkennen auch, dass diese Zusammenarbeit ihre Grenzen hat. Diese unterscheiden sich je nach Arten der Kooperation: wirtschaftliche Transaktionen, institutionelle Kooperation und Bündniszusammenarbeit.

Bei wirtschaftlichen Transaktionen sind Interessen teils unterschiedlich, Interessenschnittmengen aber durchaus vorhanden. Transaktionsprojekte und insbesondere wirtschaftliche Großprojekte wie Nord Stream 2 oder der Bau von Atomkraftwerken mit russischen Unternehmen wie Rosatom dürfen nicht ohne Vorprüfung im Sinne einer transparenten politischen Due Diligence realisiert werden.

Gerade für Länder, die autoritär und korruptionsanfällig sind, gilt meist: Alles Wirtschaftliche ist politisch und alles Politische ist wirtschaftlich. Daher kann etwa für Geschäfte mit regierungs- oder regierungsnahen Akteur*innen aus Russland keine Schutzbehauptung der deutschen Bundesregierung gelten, wonach wirtschaftliche Transaktionen reine Business-Geschäfte und keine politischen Projekte seien. Eine solche Behauptung ist bestenfalls naiv. Stattdessen müssen wir solche Geschäfte im Rahmen der politischen Due Diligence auf drei Ebenen überprüfen:

  • Erstens: Solche Projekte dürfen nicht Menschenrechte in Gefahr bringen oder der Umwelt schaden;
  • zweitens: Solche Projekte dürfen nicht die Solidarität mit anderen EU-Ländern oder kleineren EU-Nachbarn gefährden;
  • drittens: Es soll sichergestellt werden, dass die Umsetzung dieser Projekte nicht korrumpierten Strukturen im Partnerland oder in der EU zugutekommen.

Eine Kooperation ist willkommen, wenn diese Voraussetzungen der politischen Due Diligence erfüllt sind.

Auch die institutionelle Zusammenarbeit in internationalen Organisationen, bei multilateralen Verträgen oder zwecks Bewältigung internationaler Krisen ist von größter Bedeutung. Hier geht es darum, komplementäre oder gleiche Interessen im Rahmen der Institutionen oder multilateralen Regimes gemeinsam zu fördern. Ob im Klimaschutz, bei der Pandemiebekämpfung oder bei der globalen Abrüstung – hier müssen wir gemeinsam anpacken. Allerdings müssen hier zwei Bedingungen gelten:

  • Keine sektorenübergreifenden Zugeständnisse: Erstens darf Zusammenarbeit in bestimmten Feldern nicht durch Zugeständnisse in anderen Fragen bedingt werden, bzw. solche Zugeständnisse dürfen nicht erwartet werden, insbesondere bei Umwelt-, Menschenrechts- und Demokratiefragen.
  • Geopolitik stets miteinpreisen: Zweitens dürfen wir bei einer solchen Art der Zusammenarbeit nie die geostrategischen Interessen des Gegenübers unterschätzen. Gerade autoritäre oder sonstige geopolitisch selbstbewusste Länder nutzen internationale Zusammenarbeit sehr häufig nicht zwecks Erreichung gemeinsamer Interessen, sondern darüber hinaus, um geopolitische Gewinne zu erzielen. Für Russland und China ist etwa die Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung, auch eine Gelegenheit, um die Not zahlreicher Länder für die eigene globale Positionierung zu nutzen. Die geopolitischen Gewinne der anderen Seite müssen also bei unserer Entscheidung, international zu kooperieren, immer eingepreist werden.

Schließlich gibt es noch die Bündniszusammenarbeit – Kooperationen also, bei denen langfristige strategische Interessen oder Ziele übereinstimmen. Solche Zusammenarbeit ist – schon per Definition – nur dann denkbar, wenn unser Werte- und Interessenkompass einer solchen engen Zusammenarbeit nicht widerspricht. Solche Zusammenarbeit ist etwa mit Russland oder China zurzeit nicht vorstellbar. Und die Zusammenarbeit mit der Türkei, etwa im Rahmen der NATO, wird gerade aus diesen Gründen immer schwieriger.

Rote Linien müssen klar definiert und als Kompass für eine werteorientierte Außenpolitik genutzt werden. Und weil es gerade in allem Munde ist: Unsere Russland-Politik sollten wir entsprechend konstant an den hier aufgezeigten Maßstäben ausrichten, um unsere eigenen Werte nicht zu verraten und einen für alle Seiten nachvollziehbaren Rahmen für Kooperation zu setzen.