Biden in Sicht: Was wird sich ändern?

Darüber sprach ich mit Expert*innen beim transatlantischen Briefing On The Incoming Biden Administration’s Priorities For Transatlantic Tech Policy, einem (virtuellen) Panel der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Meine Prognose: Die Tonalität wird sich ändern und auch die Art der Zusammenarbeit – weg vom transaktionalen Bilateralismus hin zum institutionellen Multilateralismus.

Allerdings werden zwei transatlantische Hürden bleiben: unterschiedliche Schwerpunkte bei den Interessen und Kapazitäten sowie die unterschiedlichen Kulturen bei der Rechtssetzung.

Das europäische Misstrauen gegenüber der US-Digitalpolitik hat nicht erst unter Trump angefangen. Seit 2013 bringen die Snowden-Enthüllungen sogar die treusten Transatlantiker*innen ins Grübeln. Die Übermacht der digitalen US-Konzerne sorgt für ein andauerndes Interessengefälle zwischen Washington und Brüssel. Beide Probleme, das digitale Misstrauen und das digitale Machtgefälle werden Trumps Regierungszeit überdauern.

Das gleiche gilt für Träumereien von einer digitalstrategischen Äquidistanz zu China und USA. Letztere ist besonders unrealistisch, denn unsere gemeinsamen demokratischen Werte verpflichten uns zur Zusammenarbeit. Unser strategisches Ziel müssen globale Standards sein. Dafür brauchen wir die kritische Masse am gemeinsamen Markt- und Innovationsgewicht. Sie können wir nur gemeinsam erreichen. Die Herausforderung ist also zweierlei: Das digitale Misstrauen überwinden und digitale Machtungleichheiten ausgleichen.

Wo Rechtspolitik auf Digitalpolitik trifft, entsteht Spannung. Diese spannungsreichen Felder müssen wir gemeinsam besprechen:

  • Beim Umgang mit dem Datenschutz muss der transatlantische Dreiklang lauten: ergänzen, angleichen, ausgleichen.
  • Im Spannungsverhältnis Hass-Rede versus Meinungsfreiheit setze ich mich dafür ein, die Meinungsfreiheit nicht zu überregulieren, erst recht nicht durch eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung – das Internet darf kein grundrechtsfreier Raum sein.
  • Technologische Möglichkeiten dürfen nicht die Freiräume in unseren Gesellschaften aushöhlen. Ein wichtiger Punkt hier ist ein Verbot des Einsatzes der Gesichtserkennung zur Massenüberwachung. Darüber sollten wir auch transatlantisch reden.
  • Wir müssen die völkerrechtliche Ächtung sozial-invasiver Scoring-Systeme erreichen. Unsere Gesellschaften sind keine Versicherungen oder Bankfilialen und eine globale Ausbreitung sozialer Bewertungssysteme chinesischer Prägung müssen wir unbedingt verhindern. Auch dafür müssen wir transatlantisch zusammenarbeiten.
  • Beim Zugang zu öffentlichen Datenvorräten, dem digitalen Gemeingut müssen wir die Rolle der Zivilgesellschaft und kleiner, unabhängiger Entwickler*innen stärken. Open Data, Open Access und Open Source bringen ins digitale Zeitalter, wofür  Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung traditionell in offenen Gesellschaften und freiheitlichen Demokratien stehen. Auch das ist ein Feld, in dem USA und die EU kraft ihrer demokratischen Kulturen natürliche Verbündete sind.

Das sind nur einige punktuelle Vorschläge für eine globale digitale Agenda der Demokratien. Ob wir diese Agenda in Form globaler Demokratien-Bündnisse umsetzen oder transatlantisch vorantreiben – einiges kommt auf uns zu. Die KI- und Datenmarktregulierung sind wichtige Initiativen der EU, mit denen wir schon jetzt Weichen für diese globale normative Zusammenarbeit stellen müssen. Wichtig ist, dass wir Demokratien uns nicht einigeln, dass digitale Offenheit nicht zu einem „closed shop“ für den Westen wird. Internet muss frei und global bleiben! Beides ist noch möglich. Dafür brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung für digitale, demokratische Standardsetzung.

Diese und weitere Punkte habe ich bei unserer Diskussion mit Tyson Barker, Diane Rinaldo, Erich Clementi und Cameron Kerry eingebracht. Als grüner Berichterstatter für KI und Datenmarktstrategie im Rechts- und im Innenausschuss des Europäischen Parlaments freue ich mich auf die Fortsetzung des Austausches.