MEINE VITA

„Geboren wurde ich 1975 in Astrachan in Russland. Als Handelsmetropole zwischen Europa, Orient und dem Fernen Osten zog die Stadt einst viele Menschen aus aller Herren Länder an. Aber mich zog es weg von hier, von der herrschenden Stagnation der Sowjetunion und später dem Zerfall der gesellschaftlichen post-sowjetischen Strukturen. Allein der politische Wandel und die Öffnung des Landes begeisterten mich als Jugendlicher. Schon früh war ich überzeugter Demokrat, trotz oder besser gesagt wegen der Stimmen um mich herum, die mich ermahnten, im eigenen Interesse ein „junger Kommunist“ zu werden.

»Schon früh war ich überzeugter Demokrat, trotz oder besser gesagt wegen der Stimmen um mich herum, die mich ermahnten, im eigenen Interesse ein „junger Kommunist“ zu werden.«

Nach meinem Schulabschluss, einem Auslandsaufenthalt in den USA und der Rückkehr nach Russland, siedelte ich 1993 mit meinen Eltern, Großeltern und meinem jüngeren Bruder in die Bundesrepublik Deutschland über. Das Wichtigste war, die deutsche Sprache so schnell wie möglich zu lernen. So fing ich gleich nach der Ankunft in unserer Flüchtlingsunterkunft mit Lehrbüchern, Zeitungen und dem Fernsehen das Selbststudium an und besuchte später mit einem Sprung ins kalte Wasser ein Norderstedter Gymnasium. Was ich fürs Leben gelernt habe: Wenn man später springt, wird das Wasser auch nicht wärmer. Das Abitur zweieinhalb Jahre nach Einreise 1996 ermöglichte mir das Jurastudium an der Georg-August-Universität in Göttingen.

Dank eines Stipendiums konnte ich anschließend im Jahr 2001 an der Universität Harvard mit dem Studium der öffentlichen Verwaltung und Politik anfangen. Und als sei es in meinem Leben nicht schon turbulent genug zugegangen, hatte ich meinen ersten Tag an der Universität am 11. September. Hautnah erlebte ich die Verunsicherung und die Dilemmata: Ein Land in Angst und Trauer diskutierte über Freiheit und Sicherheit und zog anschließend in den Afghanistan-Krieg.

Hier in Amerika verstand ich, was mich als Deutschen ausmachte und wie sehr die deutsche Politik und der gesellschaftliche Diskurs mich prägten. Ich wollte mitprägen. Nach meinem amerikanischen Studienabschluss zog ich nach Berlin, wo Deutschland nach der Ära Kohl mit Rot-Grün sein neues politisches Gesicht entwickelte. Ich entwickelte mit, zunächst als Programmdirektor und politischer Berater für das American Jewish Committee, später als Publizist und schließlich als Politiker in der SPD.

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Sergey Lagodinsky in Munich, 2023
Sergey Lagodinsky being interviewed
MEINE WICHTIGSTEN STATIONEN

Es war Thilo Sarrazin, genauer das zermürbende Hickhack um sein Parteiausschlussverfahren 2011, das mir keine andere Möglichkeit ließ, als mein Parteibuch abzugeben und als Sprecher des von mir gegründeten Bundesarbeitskreises Jüdischer Sozialdemokrat*innen zurückzutreten. Meine Gründe erklärte ich in einem offenen Brief an die Partei. Kurze Zeit später wurde ich Mitglied bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Meine Promotion schrieb ich zum Thema „Meinungsfreiheit und Schutz vor antisemitischen Äußerungen“ an der Humboldt-Universität, mein Referendariat absolvierte ich in Berlin. Anschließend ging es als World Yale Fellow nach Yale. Nach kurzer Anwaltsätigkeit in einer Großkanzlei übernahm ich die Referatsleitung für EU/Nordamerika in der Heinrich-Böll-Stiftung.

Parallel dazu: Ab 2008 war ich Mitglied der Repräsentanz und des Präsidiums (2008-2012) der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und war Vorsitzender des Integrationsausschusses (2008-2012) anschließend des Kulturausschusses. Als Anführer der Opposition kämpfte ich jahrelang gegen Korruption, Intransparenz und für mehr Demokratie und Vielfalt in der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist wiederum meine neue politische Heimat geworden: Ich wurde Vorsitzender in meinem Kreisverband Pankow, Delegierter bei BDKs und LDKs, Mitglied der Kommission „Staat und Religion“ beim Bundesvorstand von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mitglied im Berliner Landesausschuss. 2013 stand ich auf der Berliner Kandidat*innenliste für die Wahl für den Deutschen Bundestag. Neben meinem Job in der Heinrich Böll-Stiftung war ich weiterhin als Anwalt tätig und unterrichtete Verfassungsrecht und Politik am Bard College Berlin (2017) sowie an der Leuphana-Universität in Lüneburg (2018).

Für die Europawahl 2019 wählte mich die Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Platz 12 der Bundeskandidat*innenliste (meine Rede).

Seit Juli 2019 bin ich Mitglied des Europäischen Parlaments und dort unter anderem stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses, Vorsitzender der EU-Türkei Delegation sowie und stellvertretendes Mitglied im Innen- und Außenausschuss.“

Sergey Lagodinsky at LDK Brandenburg, 2023
Sergey bei der LDK Brandenburg 2023
Sergey Lagodinsky speaking at Zeitenwende on Tour, 2023. The photograph shows a round of speakers in the middle of a room, the photo is taken from above.
Sergey im Gespräch bei der Zeitenwende-Konferenz in Cottbus, 2023