„Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA markiert eine Zäsur von historischem Ausmaß. Was wir hier sehen, ist nicht nur ein politisches Papier aus Washington – es ist die faktische Aufkündigung eines verlässlichen transatlantischen Schulterschlusses. Vertiefte Zusammenarbeit? Erst einmal Geschichte. Traditioneller Transatlantizismus? Im besten Fall eingefroren bis zur nächsten US-Wahl, im schlimmsten Fall endgültig erledigt. Europa wird nicht mehr als Partner auf Augenhöhe behandelt, sondern als Kontinent im Niedergang karikiert – passend zum MAGA-Narrativ, das uns zivilisatorische Erosion, mangelnde Souveränität und angeblich dysfunktionale EU-Institutionen vorwirft.

Und nun kommt die nächste tektonische Verschiebung: Laut jüngsten Berichten setzen die USA Europa eine harte Frist – ab 2027 soll die europäische Säule der NATO die Hauptverantwortung für die eigene Verteidigung tragen. Das ist kein schleichender Wandel mehr, das ist ein strategisches Erdbeben.

Für Europa entsteht damit ein gefährliches Vakuum, ein Moment der radikalen Unsicherheit: Die USA treten einen Schritt zurück, während wir noch immer nach unserer eigenen strategischen Handlungsfähigkeit suchen. Gleichzeitig sollen wir unsere Sicherheit, den Umgang mit Russland und die angebliche Korrektur unserer politischen ‚Flugbahn‘ plötzlich allein schultern.

Gerade deshalb braucht es jetzt eine klare, mutige europäische Antwort: Wir müssen unsere Verteidigung viel schneller integrieren, die Unterstützung für die Ukraine verbindlich und langfristig absichern und unsere demokratische Resilienz massiv stärken. Diese strategische Lücke darf weder der Kreml noch Peking noch irgendein anderer Akteur ausnutzen.

Wir brauchen – dringender denn je – ein Kerneuropa der Verteidigung und einen europäischen Sicherheitsrat. Diese Forderung ist keine langfristige Vision mehr. Sie ist eine Notwendigkeit, bevor Europa geopolitisch wegbricht.“

Hintergrund:
Die heute, am 5. Dezember 2025, veröffentlichte US National Security Strategy (NSS) markiert einen radikalen Kurswechsel in der amerikanischen Sicherheitspolitik. Das Dokument rückt von einer traditionell kooperativen transatlantischen Ausrichtung ab und ordnet die Welt in strategische Einflusszonen ein. Der Fokus der USA liegt klar auf dem Indo-Pazifik und der Auseinandersetzung mit China als zentralem systemischen Rivalen. Europa spielt in der Strategie eine deutlich nachgeordnete Rolle. Katastrophal für Europa ist: Die NSS beschreibt den Kontinent nicht mehr als gleichwertigen sicherheitspolitischen Partner, sondern als geopolitisch geschwächt, durch „zivilisatorische Erosion“ und mangelnde Souveränität beeinträchtigt.

Die neuen Reuters-Berichte vom heutigen Tag konkretisieren die praktischen Folgen: Laut Pentagon-Quellen hat Washington den europäischen NATO-Partnern ein Ziel gesetzt, die Mehrheit ihrer konventionellen Verteidigungsfähigkeiten bis 2027 eigenständig aufzubauen. Die USA signalisieren, dass sie sich andernfalls aus bestimmten NATO-Planungsmechanismen zurückziehen könnten. Kritiker sehen die Frist als unrealistisch an, da Europa nicht nur finanzielle Mittel und politischen Willen, sondern auch Zeit für die Beschaffung und den Aufbau kritischer Systeme benötigt. Viele US-Fähigkeiten, insbesondere in den Bereichen Aufklärung und Raketenabwehr, sind nur schwer ersetzbar